Hallo,
durch ihren Vortrag im Birkengarten wurde ich ermuntert, hier noch ein paar Details zur Straßenbahnlinie 96 beizutragen:
Bis 1950 fuhr die Straßenbahn vom Flughafen Tempelhof durch bis zur Machnower Schleuse. Damals gab es einen Ost- und einen West-Schaffner; diese wechselten aber nicht an der Grenze, sondern erst am BVG-Knotenpunkt an der Lindenstraße. Dadurch konnten die Leute vom Berg für Ostgeld in die Stadt fahren; also für ca. 1/4 des West-Fahrpreises (was für unsere Witwen- und Waisen-Familie erhebliche Bedeutung hatte).
Als zu Pfingsten 1952 die Zonengrenze geschlossen wurde, war auch die Straßenbahnlinie unterbrochen. Die West-96 fuhr nur noch bis zur Schwelmer Straße, wo wir wohnten. Jetzt entstand das Problem, dass die Bahn kein richtiges Umfahrungsgleis zum Umrangieren des Anhängers hatte. Die eingleisige Strecke von „Süd“ bis zur Schwelmer Straße spaltete sich kurz vor der Grenze wieder in eine zweigleisige Strecke in Richtung Teltow mit Hilfe einer Weiche. Das Umrangieren wurde vorübergehend so gelöst, dass die Straßenbahn vor dieser Weiche anhielt und den Beiwagen abkuppelte, der vom Schaffner mit der Handbremse festgehalten wurde. Der Triebwagen fuhr rechts über die Weiche ein paar Meter vor, dann wurde die Weiche umgestellt und der Beiwagen rollte durch lösen der Handbremse den „Berg“ hinunter bis direkt an den Grenzzaun. Nun konnte der Triebwagen zurückfahren und von der anderen Seite den Beiwagen wieder ankuppeln. Anschließend fuhr der Zug etwas vor, um die Einfahrt in die Schwelmer Straße wieder frei zu machen. Später wurde ein reguläres Umfahrungsgleis mit zwei Weichen gebaut, wodurch das Abenteuer mit dem alleine abrollenden Beiwagen entbehrlich wurde.
An der Endhaltestelle wurde der Einsteigebereich gepflastert und mit einer Bank versehen, auf der Fahrer und Schaffner ihre Pause verbrachten. Das konnten wir gut von unserem Küchenfenster aus beobachten; wenn sie sich nämlich erhoben, war es höchste Zeit loszurennen, um die Bahn noch zu kriegen.
Die eingleisige Strecke zwischen „Süd“, nahe Müllerstraße und der Endhaltestelle Schwelmer Straße interessierte mich technikbegeisterten Schüler besonders:
An jedem Ende befanden sich Lichtsignale, die im Ruhezustand dunkel waren. Bevor die Bahn von der Schwelmer Straße abfuhr, musste der Schaffner über einen Schlüsselschalter die Ampel einschalten, die dann in „Süd“ rot zeigte. Laut Fahrplan kam der Gegenzug aus Tempelhof immer so an, dass er kurz vor Rot warten musste, bis die Bahn vom Berg herunter den eingleisigen Abschnitt verlassen hatte und die Ampel auf Grün schaltete. Wenn Fahrer und Schaffner die Pause an der Schwelmer Straße etwas länger ausdehnten, traf der Gegenzug aus Tempelhof auf die dunkle Ampel, fuhr manchmal (vermutlich verbotenerweise) in die eingleisige Strecke ein und versuchte, durch hohes Tempo die Endhaltestelle vor Abfahrt des (verspäteten) Gegenzuges zu erreichen. Das gelang aber nicht immer, so dass eine Bahn rückwärts fahren musste, was für mich dann ein besonderes Schauspiel war.
Soviel von mir zur 96!
Reinhard Zehler